Detailbeschreibung
Dieser Wandteppich zeigt die Beizjagd auf Reiher. Über die Kunst mit Vögeln zu jagen“ (De arte venandi cum avibus), so nannte der Stauferkaiser Friedrich II. (1194-1250) sein in sechs Bücher gegliedertes Monumentalwerk über das Wissen der Vogelkunde und der Beizjagd seiner Zeit, das nur in einer Abschrift in der Biblioteca Apostolica Vaticana in Rom erhalten ist. Besonders beim Adel und bei kirchlichen Würdenträgern fand diese Jagdart rasch Anhänger. Durch den Kontakt mit der arabischen Kultur im Zeitalter der Kreuzzüge erhielt die europäische Falknerei neue und wesentliche Impulse.
Die Beizjagd wird mit einem Greifvogel betrieben. Meist sind es Falken, Habichte, Sperber oder auch Adler. Der Begriff „Beizjagd“ leitet sich von dem Wort „beißen“ ab, weil speziell Falken mit gezieltem Biss ins Genick ihre Beute töten. Im Mittelalter unterteilte man die Falknerei in zwei Formen. den Hohen und Niederen Flug. Der Hohe Flug, auch Königsbeize genannt, zählte zu der vornehmsten Art der Beizjagd. Nur Edelfalken wie Ger-, Würg- und Wanderfalke wurden für ihn eingesetzt. Unter Hohem Flug verstand man die Beize auf hoch fliegende Beutevögel wie Reiher, Kranich und Rotmilan, die, vom Falken angegriffen, durch Höhersteigen in hohe Luftschichten (übersteigen), ihrem Verfolger zu entkommen versuchten. Besonders in den Niederlanden war das Abtragen der Falken zum Hohen Flug sehr berühmt, man nannte diese Form der Beizjagd deswegen auch Niederländische Falknerei. Ein harmonisch aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel von Falke, Hund und Falkner ist die schönste, aber auch schwierigste Form der Beizjagd. Der Hund muss unbedingt absoluten Gehorsam zeigen und dazu sauber vorstehen. Und im offenem Gelände muss der berittene Falkner schnell folgen können.
Der Jagdherr und seine Dame ritten der Jagdgesellschaft voran. Wenn ein geeigneter Reiher in Anblick kam, wurde dem auf der mit dem ledernen Falknerhandschuh geschützten Hand stehenden Falken die Haube abgestreift, und der Falke dem Reiher entgegen geworfen.
Bevorzugt wurde auf „schwere“ Reiher gejagt, das waren Reiher, die mit vollem Kropf zurück zur Brutkolonie flogen. Die von den Falken angegriffenen Reiher entleerten den Kropf („reihern“) und versuchten den Falken durch gewandte und eindrucksvolle Flugmanöver zu entkommen. Dieser Luftkampf – von der höfischen Gesellschaft als eindrucksvolles Schauspiel genossen – zog sich oft über weite Strecken hin. Dabei versuchte die Jagdgesellschaft, den in der Luft kämpfenden Vögeln zu Pferd oft durch unwegsames Gelände rasch zu folgen, ohne diese aus den Augen zu verlieren
Die Beizjagd auf den Graureiher galt dabei stets als ein Privileg des Hohen Adels, der sie sich als zum Vorrecht der „Hohen Jagd“ gehörig, mehrfach exklusiv sicherte. Kaiser Maximilian I. (1459-1519) behielt sich in seiner „Reformierten Fischordnung“ das alleinige Recht der Reiherbeize vor, ebenso wie dies später Kaiser Rudolf II. (1552-1612) in der „Raisgejaidordnung“ tat. Die Jagd begann etwa im November und endete im April.
Diese Szenerie wird auf dem hier vorliegenden Monatsteppich dargestellt. In einer Hügellandschaft mit Fluß und Architekturen im Hintergrund, hat sich eine Jagdgesellschaft zu Fuß und zu Pferd versammelt.
Die zentrale Figur, die im Begriff ist, den Köder für den Falken auszuwerfen, ist auf seinem Rock mit dem Monat „AVRYL“ bezeichnet. Links legt ein Jäger die Jagdbeute einem sitzenden Liebespaar zu Füßen. Als Begleitfigur dient ein sitzender Affe, als Metapher des sündhaften Menschen, sicherlich als Anspielung auf das Liebespaar gemeint.
Am rechten Rand hält ein Jäger zwei Falken auf seinem Arm. Ihre Köpfe sind mit einer Kapuze bedeckt. Zwei Jagdhunde werden rechts im Vordergrund herangeführt, um die großen Vögel zu stellen, die die Falken zu Boden brachten.
Dieser Wandteppich gehört zu einem Satz von zwölf Stücken, die die Monate des Jahres darstellen. Die Sammlung Burrell in Glasgow besitzt drei Tapisserie aus einer dieser Monatsserien, darunter den JANUAR, APRIL und SEPTEMBER, die mit kleinen Abweichungen nach demselben Karton gearbeitet wurden. Sie zeigen unten einen Lilienfries und haben keine Bordüre.
Das Musée du Louvre besitzt den Monat MAI aus dieser Monatsserie, der im Moment im Musée des Beaux-Arts in Arras präsentiert wird. Diese Tapisserie hat die gleiche florale Bordüre wie das hier vorliegende Stück. Ein weiterer Wandteppich, der wahrscheinlich von der gleichen Werkstatt stammt, illustriert den Monat SEPTEMBER und wird im nordfranzösischen Museum von Saint-Lô aufbewahrt.
Die Jagd war einer der am meisten vertretenen Darstellungen der Werkstatt in Tournai im frühen 16. Jahrhundert. Dazu gehört der „Aufbruch zur Jagd“, der im Museum von Cluny aufbewahrt wird, eine „Rückkehr der Jagd“ in der National Gallery of Washington, eine „Hirschjagd“ in der Burrell-Sammlung und dieselbe Szenerie in der ehemaligen Seligman-Sammlung, deren aktueller Standort unbekannt ist. Dieses letzte Beispiel weist viele Übereinstimmungen mit dem hier vorliegenden Stück auf.
Die APRIL-Tapisserie gehörte ehemals zur Sammlung des britischen Architekten Robert Lorimer. Er war auch der Vermittler beim Kauf der zweiten April-Version an William Burell um 1900. Als Lorimer 1902 die Aufgabe übernahm, Räume in Burells Haus zu dekorieren, platzierte er die drei Monats-Tapisserien dort und sie passten perfekt hinein. Sie wurden im Abstand von nur wenigen Monaten erworben. Vielleicht kamen alle vier Wandbehänge aus der gleichen Quelle und haben einen gemeinsamen Ursprung.
Provenienz:
- 1902 angekauft in Paris von Lady Alicia Lorimer (1875-1940), geb. Violet Wyld, seit 1903 Ehefrau von Sir Robert Lorimer (1864-1929, schottischer Architekt und Designer)
versteigert Sotheby’s Juli 1966, Los 18, „The property of Christopher Lorimer, Esquire, from the collection of the late Lady Lorimer”
Ausstellung:
Exhibition of tapestries from the Lorimer collection, Saltire society, Edinburgh 1951